Musiker zeichnen maritime Klangwelten
Freiburger »Ensemble Recherche« zu Gast in der Kunsthalle Wilhelmshaven
WILHELMSHAVEN. (WAN) Die aktuelle Ausstellung „We are all mermaids“ in der Kunsthalle Wilhelmshaven endete an diesem Sonntag mit einer Finissage und einem außergewöhnlichen Konzert der Reihe „Klassik am Meer“. Was das in Freiburg beheimatete „Ensemble Recherche“ an zeitgenössischer Musik darbot, war mehr als nur ein Klangerlebnis der besonderen Art. Da gab es auch viel zu schauen, sei es die Haltung des Bogens bei den Streichern, sei es das Werkeln Klaus Steffen-Holländers innerhalb des Saitenbereichs des Flügels mit Gegenständen wie einem Trinkglas oder einem Kartenspiel bei der berühmten „Water Music“ von John Cage (1912-1992)
Stücke, die an Walgesänge erinnern
Ähnliches tat er bereits beim Auftakt mit „Drei Aquarelle“ von Marton Ilés (Ungarn), wo die Musik mal verhalten, mal exaltiert raunte und flüsterte und Shizuyo Oka die Klarinette zarte Walgesänge weben ließ. Schon hier war die Musik mit ihren besonderen Klangspielen und Einfügungen weit näher an Fluxus-Legende Yoko Ono als an Mozart.
Und man hielt geradezu den Atem an bei Adam Woodwards Violin-Solo von „A Hair on the Skin of the Water on the Lake“ der iranischen Komponistin Bahar Royaee. Hauchfeine Töne wie vom Winde verweht ließen da ferne Wasservögel auf einem See singen und mit ungewöhnlichem Bogenstrich erzählte und wisperte die Violine. Dem schloss sich Dai Fujikuras „Sakana“ (dt. Fisch) an, für das seine Landsfrau Oka der Klarinette eindringlich tirilierende Töne entlockte, als spiele sie eine indianische oder chinesische Flöte.
Außergewöhnlich aber auch Salvatore Sciarrinos „Codex Purpureus“ von 1983, bei dem Asa Akerberg auf dem Violoncello, Sofia von Atzingen auf der Viola und Geiger Woodward die sinnliche Wahrnehmung von Obertönen und ihrer Dynamik bis ins Extreme ausloteten. Sehr atmosphärisch erinnerte das an eine Konversation wie von Walen untereinander, vor allem jedoch demonstrierte es, wie kongenial das Zusammenspiel der Interpreten bei derartig komplexen Klangstrukturen sein muss. Höhepunkt des Abends aber war zweifellos „Reflets 2“, eine Komposition der jungen japanischen Komponistin Michiko Fukazawa mit einer geradezu magischen Darbietung, die vor allem mit Shizuyo Okas virtuos führender Stimme auf der Bassklarinette brillierte.
Abschluss mit „The Water of Lethe“
Hört sich die ohnehin schon recht speziell an, steigerte die weltberühmte Musikerin den mystischen, an das exotische Didgeridoo erinnernde Wirbel ins Dramatische und führte die Zuhörer in eine Atmosphäre wie bei einer Geisterbeschwörung der australischen Aborigines.
Zum Abschluss schwebten die traumtänzerischen Klänge von Toshio Hosokawas „The Water of Lethe“ und die Streicher steigerten sich im Trio zu hoher Spannung, in die sanfte Tastenklänge Sanftheit und Ruhe einbrachten. Bis dieses Wasserspiel ganz dezent versiegte und der Beifall des faszinierten Publikums sich Bann brach.
Text: Wolfgang A. Niemann (erschienen in der Wilhelmshavener Zeitung vom 8. Oktober 2025)
Fotos: Jenny Rosentreter